Statt einer Buchvorstellung, wie wir sie sonst machen, wollen wir hier diesmal einen Film vorstellen. Dazu haben wir Liz Wieskerstrauch gebeten, selbst kurz ihre Dokumentation zum Thema Rituelle Gewalt vorzustellen. Was zwischen den Balken steht, beruht auf Wieskerstrauchs Aussagen. Am Ende sagen wir noch ein paar eigene Worte dazu.
CN: In diesem Betrag wird über organisierte Formen extremer Gewalt gesprochen. Das kann Erinnerungen oder starke Gefühle auslösen. Bitte achtet gut auf euch und übernehmt selbst Verantwortung für euer Wohlergehen.
Steckbrief
Titel: „Blinder Fleck“
Der Titel wurde gewählt, weil rituelle Gewalt meist verdrängt, verleugnet, nicht gesehen wird
Liz Wieskerstrauch über sich und ihre Arbeit:
„Als Dokumentarfilmautorin entwickle ich viele Filme über menschliche Abgründe und psychische Extreme. Über die Dissoziative Identitätsstörung und ihre Ursachen, meist schwere, chronische körperliche, oft sexualisierte Gewalt, habe ich schon vor 25 Jahren erste Filme in der ARD veröffentlicht.“
Der Film ist gemacht für:
- Betroffene von sexualisierter Gewalt,
- Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Psychiater und Traumatologen, Hirn- und Gedächtnisforscher,
- Mitarbeiterinnen aus der Jugendhilfe, aus Kindergärten und Schulen, aus Jugendämtern und Familiengerichten,
- Gutachter, Polizisten, Juristen, Journalisten,
- Studenten aus den Bereichen Psychologie, Sozialpädagogik und Rechtswissenschaft,
- Entscheider aus allen möglichen Bereichen,
- alle die, die mit Betroffenen in Berührung kommen könnten
Spezieller Fokus:
Sexualisierte Gewalt in organisierten und rituellen Strukturen. „Wir wissen nicht, ob all die Erinnerungen an schwerste, oft ritualisierte Gewalt und Folter tatsächlich so stattgefunden haben, aber ein den Opfern zugewandter, sie ernstzunehmender Blick auf diese Gewaltstrukturen ist dringend notwendig.“
Was es nicht ist:
Dieser Film bedient keine Verschwörungstheorie!
Schwierigkeitsgrad:
Dieser Film zeigt keinerlei Bilder aus der Wirklichkeit der Betroffenen, eher idyllisch anmutenden Alltag der meisten Menschen. Das entspricht auch der Parallelwelt, in der sich die betroffenen Kinder jahrelang befinden. Damit wird die Gefahr einer Retraumatisierung bewusst verringert. Das Erzählte selbst allerdings kann auch die nicht Betroffenen verstören oder schockieren. Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Traumatologie, Rechtswissenschaft und Gedächtnisforschung ordnen die berichteten Erfahrungen mit ihrer Expertise ein.
Einordnung:
Dieser allein durch Spenden finanzierte Film über rituelle Gewalt ist zu einer Zeit entstanden, in der dieses Thema vollkommen polarisiert wird. Mir ist bewusst, dass ich mich aus der Sicht der Skeptiker allein mit der Tatsache, Betroffenen eine Stimme zu geben, zur Zielscheibe mache und als Verschwörungstheoretikerin diskreditiert werde. Desto mehr freue ich mich über die höchste Auszeichnung, das Prädikat „besonders wertvoll. “
Überblick:
Die Rahmenhandlung von „Blinder Fleck“ bildet eine nachgestellte Verhörszene, in der eine Polizistin ein vierjähriges Kind befragt – eine wahre Geschichte! Die Mutter dieses Kindes berichtet anonym, was dieses Kind nach dessen Aussagen erleiden musste. Diesem Kind wird aufgrund seines Alters nicht geglaubt. Jeder Ermittlungsansatz wird unterlassen.
Im Laufe des Films erzählen einige erwachsene Betroffene von ritualisierter und/oder ritueller Gewalt, was sie erlebt und erlitten haben, also Folterungen, sexualisierte Gewalt in Gruppenszenarien, Opferrituale, auch psychische Gewalt. Psychotherapeuten bestätigen, selbst oft solche Traumata behandeln zu müssen. Allmählich wird verständlich, was es heißt, eine Dissoziative Identitätsstörung zu haben. Und wie man damit lebt.
Doch der Fokus liegt auf den Schwierigkeiten der Ermittlungen, auch durch die Gespaltenheit der Betroffenen bedingt, also durch die immensen Erinnerungslücken von DIS-Patientinnen. Aber auch durch das Unverständnis der Polizei.
Ein Polizist berichtet anonym, wie er bei Ermittlungen in einem solchen Fall ausgebremst wurde.
Opferanwälte erzählen von ihren Bemühungen, die Plausibilität der Berichte ihrer Mandanten zu überprüfen.
Ein Gedächtnisforscher bestätigt die Glaubhaftigkeit des Dissoziativen Gehirns.
Ein Kindertraumatherapeut fordert eine traumasensible Rechtspsychologie.
Ein Familienrechtsanwalt kämpft um mehr Kinderschutz.
Nach der Fertigstellung:
„Nachdem ich dieses Thema trotz langer Bemühungen beim Öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht unterbringen konnte, kam ich auf die Idee, das als Kinofilm zu realisieren. Und das ging nur über Spenden. Es ist unglaublich, wie viele Menschen dieses Projekt gefördert haben, wie vielen es wichtig ist, dass dieses Thema ernst genommen und veröffentlicht wird. Gerade in einer Zeit der steten Verleugnung. Das macht mich glücklich und dankbar. Der Kinostart ist am 23. April in Bremen, danach toure ich von Ort zu Ort, von Kino zu Kino, und werde nach jeder Vorstellung Rede und Antwort stehen.“ Weitere Informationen unter:
https://www.wieskerstrauch.com/projekt-blinder-fleck
Nächste Projekte:
„Jetzt konnte ich sogar noch eine Wissenschafts-Doku über die DIS realisieren. Einen Sendetermin für „Das zerbrochene Ich“ habe ich leider noch nicht, aber es wird irgendwann im Sommer oder Herbst gesendet werden. Zeitgleich habe ich ein populärwissenschaftliches Sachbuch unter dem Titel „Geteilte Persönlichkeiten – Die Dissoziative Identitätsstörung zwischen Trauma und Verleugnung“ geschrieben. Es erscheint Anfang Mai im Nomos Verlag.“
Ich hatte die Möglichkeit, ‘Blinder Fleck’ schon vor Beginn der Kinotour zu sehen. Ich kannte einige Filme von Wieskerstrauch von früher und trotzdem war ich anfangs unruhig, wie sie diesem schwierigen Thema gerecht werden könnte. Es ist auf allen Seiten von Verschwörungsdenken umgeben. Von der Vorstellung einer Weltverschwörung der Reichen und Mächtigen bis zur Annahme, irgendwelche Psychotherapeut*innen hätten sich verschworen, um solche Berichte zu produzieren. Wieskerstrauch gelingt es, die Probleme rund um die Aussagen zu ritueller Gewalt zu beleuchten, indem aus vielen verschiedenen Perspektiven darüber berichtet wird. Dabei dürfen paradoxe Aussagen nebeneinander stehen und es ist den Zuschauenden selbst überlassen, das entstehende Bild auf sich wirken zu lassen.
Mich hat erstaunt, wie gut die Rolle der DIS und der entsprechenden Hürden herausgearbeitet ist. Beiträge verschiedener Persönlichkeitsanteile der selben Person werden dafür nebeneinander gestellt. Auch diese Dokumentation kommt nicht ganz ohne das Klischee vom ‘Switch vor laufender Kamera’ aus, das unter Betroffenen umstritten ist, tut es aber zumindest auf eine Weise, die bei mir nicht die intensiven Reaktionen triggert, die ich sonst bei solchen Szenen habe.
Betroffene finden hier keine Dokumentation, die nur ihre Berichte validiert, ohne weiter zu fragen. Das kann ein bisschen weh tun, selbst wenn die Grundhaltung des Filmes eine ist, die offen und umsichtig mit den Beiträgen Betroffener umgeht. Kritiker*innen werden einzelne Argumente von sich wiedererkennen, die offen benannt werden, wie den Mangel an Beweisen. Es werden keine kritischen Argumente aufgegriffen, die auf einer Leugnung der DIS Diagnose beruhen und damit werden fruchtlose Diskurse, die eher vom Thema ablenken, vermieden.
Insgesamt empfinde ich den Film als fair. Er findet einen Weg zwischen dem fragmentierten Erinnerungsvermögen und den Zweifeln, echten Geschädigten und ihren Geschichten und den Problemen, Taten polizeilich und juristisch zu verfolgen. Dabei ist er nüchtern und ohne den Anspruch, alle Antworten zu haben. Damit bildet ‘Blinder Fleck’ einen Ruhepol im Wirbel, der immer wieder um das Thema gemacht wird.